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Mein Beruf
»Was meinem Kreise mich enttrieb, Der Kammer friedlichem Gelasse?« Das fragt ihr mich als sei, ein Dieb, Ich eingebrochen am Parnasse. So hört denn, hört, weil ihr gefragt: Bei der Geburt bin ich geladen, Mein Recht soweit der Himmel tagt, Und meine Macht von Gottes Gnaden.
Jetzt wo hervor der tote Schein Sich drängt am modervollen Stumpfe, Wo sich der schönste Blumenrain Wiegt über dem erstorbnen Sumpfe, Der Geist, ein blutlos Meteor, Entflammt und lischt im Moorgeschwele, Jetzt ruft die Stunde: »Tritt hervor, Mann oder Weib, lebend'ge Seele!
Tritt zu dem Träumer, den am Rand Entschläfert der Datura Odem, Der, langsam gleitend von der Wand, Noch zucket gen den Zauberbrodem Und wo ein Mund zu lächeln weiß Im Traum, ein Auge noch zu weinen, Da schmettre laut, da flüstre leis, Trompetenstoß und West in Hainen!
Tritt näher, wo die Sinnenlust Als Liebe gibt ihr wüstes Ringen, Und durch der eignen Mutter Brust Den Pfeil zum Ziele möchte bringen, Wo selbst die Schande flattert auf, Ein lustiges Panier zum Siege, Da rüttle hart:›Wach auf, wach auf, Unsel'ger, denk an deine Wiege!
Denk an das Aug', das überwacht Noch eine Freude dir bereitet, Denk an die Hand, die manche Nacht Dein Schmerzenslager dir gebreitet, Des Herzens denk, das einzig wund Und einzig selig deinetwegen, Und dann knie nieder auf den Grund Und fleh um deiner Mutter Segen!‹
Und wo sich träumen wie in Haft Zwei einst so glüh ersehnte Wesen, Als hab' ein Priesterwort die Kraft Der Banne seligsten zu lösen, Da flüstre leise: ›Wacht, o wacht! Schaut in das Auge euch, das trübe, Wo dämmernd sich Erinnrung facht‹, Und dann: ›Wach auf, o heil'ge Liebe!‹
Und wo im Schlafe zitternd noch Vom Opiat die Pulse klopfen, Das Auge dürr, und gäbe doch Sein Sonnenlicht um einen Tropfen, - O, rüttle sanft ›Verarmter, senk Die Blicke in des Äthers Schöne, Kos einem blonden Kind und denk An der Begeistrung erste Träne.‹«
So rief die Zeit, so ward mein Amt Von Gottes Gnaden mir gegeben, So mein Beruf mir angestammt, Im frischen Mut, im warmen Leben; Ich frage nicht ob ihr mich nennt, Nicht frönen mag ich kurzem Ruhme, Doch wißt: wo die Sahara brennt, Im Wüstensand, steht eine Blume,
Farblos und Duftes bar, nichts weiß Sie als den frommen Tau zu hüten, Und dem Verschmachtenden ihn leis In ihrem Kelche anzubieten. Vorüber schlüpft die Schlange scheu Und Pfeile ihre Blicke regnen, Vorüber rauscht der stolze Leu, Allein der Pilger wird sie segnen.
Meine Toten
Wer eine ernste Fahrt beginnt, Die Mut bedarf und frischen Wind, Er schaut verlangend in die Weite Nach eines treuen Auges Brand, Nach einem warmen Druck der Hand, Nach einem Wort, das ihn geleite.
Ein ernstes Wagen heb' ich an, So tret' ich denn zu euch hinan, Ihr meine stillen strengen Toten; Ich bin erwacht an eurer Gruft, Aus Wasser, Feuer, Erde, Luft, Hat eure Stimme mir geboten.
Wenn die Natur in Hader lag, Und durch die Wolkenwirbel brach Ein Funke jener tausend Sonnen, - Spracht aus der Elemente Streit Ihr nicht von einer Ewigkeit Und unerschöpften Lichtes Bronnen?
Am Hange schlich ich, krank und matt, Da habt ihr mir das welke Blatt Mit Warnungsflüstern zugetragen, Gelächelt aus der Welle Kreis, Habt aus des Angers starrem Eis Die Blumenaugen aufgeschlagen.
Was meine Adern muß durchziehn, Sah ich's nicht flammen und verglühn, An eurem Schreine nicht erkalten? Vom Auge hauchtet ihr den Schein, Ihr meine Richter, die allein In treuer Hand die Waage halten.
Kalt ist der Druck von eurer Hand, Erloschen eures Blickes Brand, Und euer Laut der Ode Odem, Doch keine andre Rechte drückt So traut, so hat kein Aug' geblickt, So spricht kein Wort, wie Grabesbrodem!
Ich fasse eures Kreuzes Stab, Und beuge meine Stirn hinab Zu eurem Gräserhauch, dem stillen, Zumeist geliebt, zuerst gegrüßt, Laßt, lauter wie der Äther fließt, Mir Wahrheit in die Seele quillen.
Katharine Schücking
Du hast es nie geahndet, nie gewußt, Wie groß mein Lieben ist zu dir gewesen, Nie hat dein klares Aug' in meiner Brust Die scheu verhüllte Runenschrift gelesen, Wenn du mir freundlich reichtest deine Hand, Und wir zusammen durch die Grüne wallten, Nicht wußtest du, daß wie ein Götterpfand Ich, wie ein köstlich Kleinod sie gehalten.
Du sahst mich nicht als ich, ein heftig Kind, Vom ersten Kuß der jungen Muse trunken, Im Garten kniete, wo die Quelle rinnt, Und weinend in die Gräser bin gesunken; Als zitternd ich gedreht der Türe Schloß, Da ich zum ersten Mal dich sollte schauen, Westfalens Dichterin, und wie da floß Durch mein bewegtes Herz ein selig Grauen.
Sehr jung war ich und sehr an Liebe reich, Begeisterung der Hauch von dem ich lebte; Ach! manches ist zerstäubt, der Asche gleich, Was einst als Flamme durch die Adern bebte! Mein Blick ward klar und mein Erkennen stark, Von seinem Throne mußte manches steigen, Und was ich einst genannt des Lebens Mark, Das fühlt' ich jetzt mit frischem Stolz, mein eigen.
So scheut' ich es, als fromme Schülerin, Dir wieder in das dunkle Aug' zu sehen, Ich wollte nicht vor meiner Meisterin Hochmütig, mit bedecktem Haupte, stehen. Auch war ich krank, mein Sinnen sehr verwirrt, Und keinen Namen mocht' ich sehnend nennen; Doch hat dies deine Liebe nicht geirrt, Du drangst zu mir nach langer Jahre Trennen.
Und als du vor mich tratest, fest und klar, Und blicktest tief mir in der Seele Gründe, Da ward ich meiner Schwäche wohl gewahr, Was ich gedacht, das schien mir schwere Sünde. Dein Bild, du Starke in der Läutrung Brand, Stieg wie ein Phönix aus der Asche wieder, Und tief im Herzen hab' ich es erkannt, Wie zehnfach größer du als deine Lieder.
Du sahst, Bescheidne, nicht, daß damals hier Aus deinem Blick Genesung ich getrunken, Daß deines Mundes Laute damals mir Wie Naphtha in die Seele sind gesunken. Ein jedes Wort, durchsichtig wie Kristall Und kräftig gleich dem edelsten der Weine, Schien mir zu rufen: »Auf! der Launen Ball, Steh auf! erhebe dich, du Schwach' und Kleine!«
Nun bist du hin! von Gottes reinstem Bild Ist nur ein grüner Hügel uns geblieben, Den heut umziehn die Winterstürme wild Und die Gedanken derer, die dich lieben. Auch hör' ich, daß man einen Kranz gelegt Von Lorbeer in des Grabes dunkle Moose, Doch ich, Kathinka, widme dir bewegt Den Efeu und die dornenvollste Rose.
Nach dem Angelus Silesius
Des Menschen Seele du, vor allem wunderbar, Du Alles und auch Nichts, Gott, Priester und Altar, Kein Pünktchen durch dich selbst, doch über alles Maß Reich in geschenktem Gut, und als die Engel baß; Denn höher steht dein Ziel, Gott ähnlich sollst du werden; So, Seele, bist du's schon; denn was zu Glück und Ruhm In dir verborgen liegt, es ist dein Eigentum, Ob unentwickelt auch, wie's Keimlein in der Erden Nicht minder als der Baum, und wie als Million Nichts andres ist die Eins, bist du ihm gleich, sein Sohn, So wie dem Tropfen Blut, der aus der Wunde quillt Ganz ähnlich ist das Rot, das noch die Adern füllt; Nicht Kletten trägt die Ros', der Dornstrauch keine Reben, Drum, Seele, stürbest du, Gott müßt den Geist aufgeben.
Ja, alles ist in dir was nur das Weltall beut, Der Himmel und die Höll', Gericht und Ewigkeit, Gott ist dein Richter nicht, du mußt dir selbst Sonst an des Höchsten Thron stehst du in ew'ger Pein; Er, der dem Suchenden noch nie verlöscht die Spur, Er hat selbst Satan nicht verdammt nach Zeit und Ort; Des unergründlich Grab ist seine Ichheit nur: Wär' er des Himmels Herr, er brennte ewig fort, Wie Gott im Höllenpfuhl wär selig für und für, Und, Seele, bist du treu, so steht dies auch bei dir.
Also ist deine Macht auch heute schon dein eigen, Du kannst, so oft du willst, die Himmelsleiter steigen; Ort, Raum, sind Worte nur von Trägheit ausgedacht, Die nicht Bedürfnis in dein Wörterbuch gebracht. Dein Aug' ist Blitz und Nu, dein Flug bedarf nicht Zeit, Und im Moment ergreifst du Gott und Ewigkeit; Allein der Sinne Schrift, die mußt du dunkel nennen, Da dir das Werkzeug fehlt die Lettern zu erkennen; Nur Geist'ges faßt der Geist, ihm ist der Leib zu schwer, Du schmeckst, du fühlst, du riechst, und weißt um garnichts mehr; Hat nicht vom Tröpfchen Tau die Eigenschaft zu messen Jahrtausende der Mensch vergebens sich vermessen? Drum, plagt dich Irdisches, du hast es selbst bestellt, Viel näher als dein Kleid ist dir die Geisterwelt!
Faßt's nicht zuweilen dich, als müßtest in der Tat Du über dich hinaus, das Ganze zu durchdringen, Wie jener Philosoph um einen Punkt nur bat, Um dann der Erde Ball aus seiner Bahn zu schwingen? Fühlst du in Demut so, in Liebesflammen rein, Dann ist's der Schöpfung Mark, laß dir nicht leide sein! Dann fühlst du dich von Gott als Wesenheit begründet, Wie Quelle an dem Strand, wo Ozean sich ründet.
So sei denn freudig, Geist, da nichts mag größer sein, So wirf dich in den Staub, da nichts wie du so klein! Du Würmchen in dir selbst, doch reich durch Gottes Hort, So schlummre, schlummre nur, mein Seelchen, schlummre fort! Was rennst, was mühst du dich zu mehren deine Tat? Halt nur den Acker rein, dann sprieße von selbst die Saat; In Ruhe wohnt die Kraft, du mußt nur ruhig sein, Durch offne Tür und Tor die Gnade lassen ein; Dann wird aus lockerm Grund dir Myrt' und Balsam steigen, Er kömmt, er kömmt, dein Lieb, gibt sich der Braue zu eigen, Mit sich der Krone Glanz, mit sich der Schlösser Pracht, Um die sie nicht gefreit, an die sie nicht gedacht!
Gruß an Wilhelm Junkmann
Mein Lämpchen zuckt, sein Docht verglimmt, Die Funken knistern im Kamine, Wie eine Nebeldecke schwimmt Es an des Saales hoher Bühne; Im Schneegestöber schläft die Luft, Am Scheite ist das Harz entglommen, Mich dünke, als spür' ich einen Duft Wie Weihrauch an der Gruft des Frommen.
Dies ist die Stunde, das Gemach, Wo sich Gedanken mögen wiegen, Verklungne Laute hallen nach, Es dämmere in verloschnen Zügen; Im Hirne summe es, wie ein Lied Das mit den Flocken möchte steigen, Und, flüsternd wie der Hauch im Ried, An eines Freundes Locke neigen.
Schon seh ich ihn, im gelben Licht, Das seines Ofens Flamme spielet, Er selbst ein wunderlich Gedicht, Begriffen schwer, doch leicht gefühlet. Ich seh ihn, wie, die Stirn gestützt, Er leise lächelt in Gedanken; Wo weilen sie? wo blühen itzt Und treiben diese zarten Ranken?
Baun sie im schlichten Heidekraut Ihr Nestchen sich aus Immortellen? Sind mit der Flocke sie getaut Als Träne, wo die Gräber schwellen? Vielleicht in fernes fernes Land Wie Nachtigallen fortgezogen, Oder am heil'gen Meeresstrand, Gleich der Morgana auf den Wogen.
Ihm hat Begeistrung, ein Orkan, Des Lebens Zedern nicht gebeuget, Nicht sah er sie als Flamme nahn, Die lodernd durch den Urwald steiget; Nein, als entschlief der Morgenwind, Am Strauche summten fromme Bienen, Da ist der Herr im Säuseln lind Gleich dem Elias ihm erschienen.
Und wie er sitzt, so vorgebeugt, Die hohe Stirn vom Schein umflossen, Das Ohr wie fremden Tönen neigt, Und lächelt geistigen Genossen, Ein lichter Blitz in seinem Aug', Wie ein verirrter Strahl aus Eden, - Da möcht' ich leise, leise auch Als Äolsharfe zu ihm reden.
Junge Liebe
Über dem Brünnlein nicket der Zweig, Waldvögel zwitschern und flöten, Wild Anemon' und Schlehdorn bleich Im Abendstrahle sich röten, Und ein Mädchen mit blondem Haar Beugt über der glitzernden Welle, Schlankes Mädchen, kaum fünfzehn Jahr, Mit dem Auge der scheuen Gazelle.
Ringelblumen blättert sie ab: »Liebt er, liebt er mich nimmer?« Und wenn »liebt« das Orakel gab, Um ihr Antlitz gleitet ein Schimmer: »Liebe er nicht« - o Grimm und Graus! Daß der Himmel den Blüten gnade! Gras und Blumen, den ganzen Strauß, Wirft sie zürnend in die Kaskade.
Gleitet dann in die Kräuter lind, Ihr Auge wird ernst und sinnend; Frommer Eltern heftiges Kind, Nur Minne nehmend und minnend, Kannte sie nie ein anderes Band Als des Blutes, die schüchterne Hinde; Und nun einer, der nicht verwandt - Ist das nicht eine schwere Sünde?
Mutlos seufzet sie niederwärts, In argem Schämen und Grämen, Will zuletzt ihr verstocktes Herz Recht ernstlich in Frage nehmen. Abenteuer sinnet sie aus: Wenn das Haus nun stände in Flammen, Und um Hülfe riefen heraus Der Karl und die Mutter zusammen?
Plötzlich ein Perlenregen dicht Stürzt ihr glänzend aus beiden Augen, In die Kräuter gedrückt ihr Gesicht, Wie das Blut der Erde zu saugen, Ruft sie schluchzend: »Ja, ja, ja!« Ihre kleinen Hände sich ringen, »Retten, retten würd' ich Mama, Und zum Karl in die Flamme springen!«
Das vierzehnjährige Herz
Er ist so schön! - sein lichtes Haar Das möcht' ich mit keinem vertauschen, Wie seidene Fäden so weich und klar, Wenn zarte Löckchen sich bauschen; Oft streichl' ich es, dann lacht er traun, Nennt mich »seine alberne Barbe«; Es ist nicht schwarz, nicht blond, nicht braun, Nun ratet, wie nennt sich die Farbe?
Und seine Gebärde ist königlich, Geht majestätisch zu Herzen, Zuckt er die Braue, dann fürcht' ich mich, Und möchte auch weinen vor Schmerzen; Und wieder seh ich sein Lächeln blühn, So klar wie das reine Gewissen, Da möchte ich gleich auf den Schemel knien, Und die guten Hände ihm küssen.
Heut bin ich in aller Frühe erwacht, Beim ersten Glitzern der Sonnen, Und habe mich gleich auf die Sohlen gemacht, Zum Hügel drüben am Bronnen; Erdheeren fand ich, glüh wie Rubin, Schau, wie im Korbe sie lachen! Die stell' ich ihm nun an das Lager hin, Da siehe er sie gleich beim Erwachen.
Ich weiß, er denkt mit dem ersten Blick, »Das tat meine alberne Barbe!« Und freundlich streicht er das Haar zurück Von seiner rühmlichen Narbe, Ruft mich bei Namen, und zieht mich nah, Daß Tränen die Augen mir trüben; Ach, er ist mein herrlicher Vater ja, Soll ich ihn denn nicht lieben, nicht lieben!
Brennende Liebe
Und willst du wissen, warum So sinnend ich manche Zeit, Mitunter so töricht und dumm, So unverzeihlich zerstreut, Willst wissen auch ohne Gnade, Was denn so Liebes enthält Die heimlich verschlossene Lade, An die ich mich öfters gestellt?
Zwei Augen hab' ich gesehn, Wie der Strahl im Gewässer sich bricht, Und wo zwei Augen nur stehn, Da denke ich an ihr Licht. Ja, als du neulich entwandtest Die Blume vom blühenden Rain, Und »Oculus Christi« sie nanntest, Da fielen die Augen mir ein.
Auch gibt's einer Stimme Ton, Tief, zitternd, wie Hornes Hall, Die tut's mir völlig zum Hohn, Sie folget mir überall. Als jüngst im flimmernden Saale Mich quälte der Geigen Gegell, Da hört' ich mit einem Male Die Stimme im Violoncell.
Auch weiß ich eine Gestalt, So leicht und kräftig zugleich, Die schreitet vor mir im Wald, Und gleitet über den Teich; Ja, als ich eben in Sinnen Sah über des Mondes Aug' Einen Wolkenstreifen zerrinnen, Das war ihre Form, wie ein Rauch.
Und höre, höre zuletzt, Dort liegt, da drinnen im Schrein, Ein Tuch mit Blute genetzt, Das legte ich heimlich hinein. Er ritzte sich nur an der Schneide, Als Beeren vom Strauch er mir hieb, Nun hab' ich sie alle beide, Sein Blut und meine brennende Lieb'.
Der Brief aus der Heimat
Sie saß am Fensterrand im Morgenlicht, Und starrte in das aufgeschlagne Buch, Die Zeilen zählte sie und wußt' es nicht, Ach weithin, weithin der Gedanken Flug! Was sind so ängstlich ihre nächt'gen Träume? Was scheint die Sonne durch so öde Räume? - Auch heute kam kein Brief, auch heute nicht.
Seit Wochen weckte sie der Lampe Schein, Hat bebend an der Stiege sie gelauscht; Wenn plötzlich am Gemäuer knackt der Schrein, Ein Fensterladen auf im Winde rauscht, - Es kömmt, es naht, die Sorgen sind geendet: Sie hat gefragt, sie hat sich abgewendet, Und schloß sich dann in ihre Kammer ein.
Kein Lebenszeichen von der liebsten Hand, Von jener, die sie sorglich hat gelenkt, Als sie zum ersten Mal zu festem Stand Die zarten Kinderfüßchen hat gesenkt; Versprengter Tropfen von der Quelle Rande, Harrt sie vergebens in dem fremden Lande; Die Tage schleichen hin, die Woche schwand.
Was ihre rege Phantasie geweckt? Ach, eine Leiche sah die Heimat schon, Seit sie den unbedachten Fuß gestreckt Auf fremden Grund und hörte fremden Ton; Sie küßte scheidend jung und frische Wangen, Die jetzt von tiefer Grabesnacht umfangen; Ist's Wunder, daß sie tödlich aufgeschreckt?
In Träumen steigt das Krankenbett empor, Und Züge dämmern, wie in halber Nacht; Wer ist's? - sie weiß es nicht und spannt das Ohr, Sie horcht mit ihrer ganzen Seele Macht; Dann fährt sie plötzlich auf beim Windesrauschen, Und glaubt dem matten Stöhnen noch zu lauschen, Und kann erst spät begreifen daß sie wacht.
Doch sieh, dort fliegt sie übern glatten Flur, Ihr aufgelöstes Haar umfließt sie rund, Und zitternd ruft sie, mit des Weinens Spur: »Ein Brief, ein Brief, die Mutter ist gesund!« Und ihre Tränen stürzen wie zwei Quellen, Die übervoll aus ihren Ufern schwellen; Ach, eine Mutter hat man einmal nur!
Ein braver Mann
Noch lag, ein Wetterbrodem, schwer Die Tyrannei auf Deutschlands Gauen, Die Wachen schlichen scheu umher, Die Menge schlief in dumpfem Grauen; Ein Seufzer schien der Morgenwind Aus angstgepreßter Brust zu brechen; Nur die Kanone durfte sprechen Und lächeln durfte nur das Kind.
Da lebt' im Frankenland ein Mann, Der bittre Stunden schon getragen, In drängenden Geschickes Bann Gar manche Täuschung sonder Klagen; Ihm war von seiner Ahnen Flor Der edle Name nur geblieben, Von allen, allen Jugendtrieben Des Herzens warm Gedenken nur.
Durch frühes Siechtum schwer gebeugt Und jeglichem Beruf verdorben, Hätt' oft er gern das Haupt geneigt Und wär' in Frieden nur gestorben; An seinen Schläfen lagen schon Mit vierzig Jahren weiße Garben, Und seiner Züge tiefe Narben Verrieten steter Sorge Fron.
Doch freundlich trug er jeden Dorn, Der auf dem Pfade ihm begegnet, Geschlagen von des Schicksals Zorn, Doch von der Götter Hand gesegnet. Und eine Kunst war ihm beschert, So mild wie seiner Seele Hauchen, Sein Pinsel ließ die Wiesen rauchen Und flammen des Vulkanes Herd.
Es waren Bilder die mit Lust Ein unverdorbnes Herz erfüllen, Wie sie entsteigen warmer Brust Und reiner Phantasie entquillen; Doch Mäcklern schienen sie zu zart, Den Stempel hoher Kunst zu tragen; So hat er schwer sich durchgeschlagen Und täglich am Bedarf gespart.
Da ward in Winterabends Lauf Ein Brief ihm von der Post gesendet; Er riß bestürzt das Siegel auf: O Gott, die Sorgen sind beendet! Des fernen Vetters Totenschein Hat als Agnaten ihn berufen, Er darf nur treten an die Stufen, Die reichen Lehne harren sein!
Wer denkt es nicht, daß ihm gepreßt Aus heißer Wimper Tränen flossen! Dann plötzlich steht sein Auge fest, Der Zähren Quelle ist geschlossen. Er liest, er tunkt die Feder ein, Hat nur Sekunden sich beraten, Und an den nächsten Lehnsagnaten Schreibt mutig er beim Lampenschein:
»Wohl sagt man, daß Tyrannenmacht Nicht Eides6 Band vermag zu schlingen, Doch wo in uns ein Zweifel wacht, Da müssen wir zum Besten ringen. Nimm hin der Väter liebes Schloß, - O würd' ich einstens dort begraben! - Ich bin gewöhnt nicht viel zu haben, Und mein Bedürfnis ist nicht groß.«
Wer unter euch von Opfern spricht, Von edleren, und Märt'rerzeichen, Der sah gewiß noch Jahre nicht, Nicht vierzig Jahr in Sorg' entschleichen! Ihr die mit Stärke prunkt und gleich Euch drängt zu stolzer Taten Weihe: - Er war ein Mann wie Wachs so weich, Nur stark in Gott und seiner Treue.
Und wie es ferner ihm erging? Er hat gemalt bis er gestorben, Zuletzt, in langer Jahre Ring, Ein schmal Vermögen sich erworben; Nie hat auf der Begeistrung Höh' Sein schamhaft Schweigen er gebrochen, Und keine Seele hat gesprochen Von seinem schweren Opfer je.
Zweimal im Leben gab das Glück Vor seinem Antlitz mir zu stehen, In seinem mild bescheidnen Blick Des Geistes reinen Blitz zu sehen. Und im Dezember hat man dann Des Sarges Deckel zugeschlagen Und still ihn in die Gruft getragen. - Das ist das Lied vom braven Mann.
Stammbuchblätter
1. Mit Lauras Bilde
Im Namen eines Freundes
Um einen Myrtenzweig sich zu ersingen Schickt seinen Schwan Petrarca Lauren nach, Mit Lorbeerreisern füllt er das Gemach, Doch kann er in den Myrtenhain nicht dringen.
Da ziehe er durch die Welt mit hellem Klingen, Schlägt mit den Flügeln an das teure Haus, Man reicht ihm den Zypressenkranz hinaus, Allein die Myrte kann er nicht erringen.
Mein Freund, wohl ist der Lorbeer uns versagt, Doch laß uns um den schnöden Preis nicht klagen, Von Dornen und Zypressen rings umragt.
Will es in einer Laura Blick mir tagen, Dann hab' ich gern dem schweren Kranz entsagt, Die kleine Myrte läßt sich leichter tragen.
2. An Henriette von Hohenhausen
Wie lieb, o Nähe; Ferne, ach wie leid; Wie bald wird Gegenwart Vergangenheit! Warum hat Trauer denn so matten Schritt, Da doch so leicht die frohe Stunde glitt? Ach, wer mir liebe Stunden könnte bannen, Viel werter sollt' er sein, als der vermöchte Der trüben schlaffe Sehnen anzuspannen, Denn Leid im Herzen wirbt sich teure Rechte, Und wer es nimmt, der nimmt ein Kleinod mit. Reich mir die Hand! du hast mich froh gemacht. In öder Fremde hab' ich dein gedacht, Werd' oft noch sinnen deinem Blicke nach, So mildes Auge hellt den trübsten Tag. Laß Ferne denn zur Nähe sich gestalten Durch Wechselwort und inniges Gedenken. Reich mir die Hand! - ich will sie treulich halten, Und drüber her mag immergrün sich senken Der Tannenzweig, ein schirmend Wetterdach.
Nachruf an Henriette von Hohenhausen
An deinem Sarge standen wir, Du fromme milde Leidenspalme, Wir legten in die Hände dir Des Lenzes linde Blütenhalme; An deiner Brust, wie eingenickt, Die blauen Seidenschleifen lagen; So, mit der Treue Bild geschmückt, Hat man dich in die Gruft getragen.
Die Sonne sticht, der Regen rauscht - Wir sitzen schweigend und beklommen; Es knirrt im Flur, und jeder lauscht, Als dächten wir du könntest kommen; In jedem Winkel suchen wir Nach deinem Lächeln, deinem Blicke, Wer lehnte je am Busen dir, Und fühlt im Herzen keine Lücke?
Daß dein Erkennen stark und klar, Auch andre mögen's mit dir teilen, Doch daß du so gerecht und wahr, Daß Segen jede deiner Zeilen, Der Odem den dein Leben sog, Der letzte noch, ein Liebeszeichen, - Das, Henriette, stellt dich hoch Ob andre, die an Geist dir gleichen!
Du warst die Seltne, die gehorcht Des Ruhmes lockender Sirene, Und keine Tünche je geborgt, Und keine süßen Taumeltöne; Die jede Perl' aus ihrem Hort Vor Gottes Auge erst getragen, Um ernstes wie um heitres Wort, Um keines durft' im Tode zagen.
Am Sarge fällt die Blüte ab, Zerrinnt der Glorie Zauberschemen, Dein Lorbeerreis, es bleibt am Grab, Du kannst es nicht hinüber nehmen; Doch vor dem Richter kannst du knien, Die reinen Hände hoch gefaltet: »Sieh, Herr, die Pfunde, mir verliehn, Ich habe redlich sie verwaltet.«
Nicht möcht' ich einen kalten Stein Ob deinem warmen Herzen sehen, Auch keiner glühen Rosen Schein, Die üppig unter Dornen wehen; Des Sinnlaubs immergrünen Stern Möcht ich um deinen Hügel ranken, Und überm Grüne säh' ich gern Die segensreiche Ähre schwanken.
Vanitas Vanitatum!
R.i.p.
Ihr saht ihn nicht im Glücke, Als Scharen ihm gefolgt, Mit einem seiner Blicke Er jeden Haß erdolcht, Das Blut an seinen Händen Wie Königspurpur fast, Und flammenden Geländen Entstieg des Nimbus Glast;
Saht nicht, wie stolz getragen Schulfreund und Kamerad Die Stirn, mit welchem Zagen Der Fremdling ihm genaht, Wenn mit Kolosses Schreiten Das Klippentor er stieß, Die kleinen Segel gleiten An seiner Sohle ließ.
Ihr habt ihn nicht gesehen, Ihr Augen jugendklar, Du Haupt wo Ringel wehen Von süßem Lockenhaar; Jünglinge, blühnde Frauen, Ihr saht ihn nicht im Glanz, Ihn, seines Landes Grauen Und allergrünsten Kranz.
Vielleicht doch saht ihr streifen Den alten kranken Leun, Saht seine Mähne schleifen Und zittern sein Gebein, Saht wie die breiten Pranken Er matt und stöhnend hob, Wie taumelnd seine Flanken Er längs der Mauer schob.
Und Scheitel saht ihr, weiße, Am Fensterglase spähn, Die dann mit scheuem Fleiße Sich hintern Vorhang drehn, Vernahmt der Knaben Lachen, Der Greise schmerzlich Ach, Wenn er im freien flachen Geländ' zusammenbrach.
Allein ihr horcht als rede Ich von dem Tartarkhan, Mit Augen weit und öde Starrt ihr mich lange an, Und einer ruft: »O schauet, Wie man ein Ehrenmal Obskurem Burschen bauet! Wer war der General?«
Instinkt
Bin ich allein, verhallt des Tages Rauschen Im frischen Wald, im braunen Heideland, Um mein Gesicht die Gräser nickend bauschen, Ein Vogel flattert an des Nestes Rand, Und mir zu Füßen liegt mein treuer Hund, Gleich Feuerwürmern seine Augen glimmen, Dann kommen mir Gedanken, ob gesund, Ob krank, das mag ich selber nicht bestimmen.
Ergründen möcht' ich, ob das Blut, das grüne, Kein Lebenspuls durch jene Kräuter trägt, Ob Dionaea um die kühne Biene Bewußtlos ihre rauhen Netze schlägt, Was in dem weißen Sterne.9 zuckt und greift, Wenn er, die Fäden streckend, leise schauert, Und ob, vom Duft der Menschenhand gestreift, Gefühllos ganz die Sensitive trauert?
Und wieder muß ich auf den Vogel sehen, Der dort so zürnend seine Federn sträubt, Mit kriegerischem Schrei mich aus den Nähen Der nackten Brut, nach allen Kräften treibt. Was ist Instinkt? - tiefsten Gefühles Herd; Instinkt trieb auch die Mutter zu dem Kinde, Als jene Fürsein, von der Glut verzehre, Als Heil'ge ward posaune in alle Winde.
Und du, mein zott'ger Tremm, der schlafestrunken Noch ob der Herrin wache, und durch das Grün Läßt blinzelnd streifen seiner Blicke Funken, Sag an, was deine klugen Augen glühn? Ich bin es nicht, die deine Schale füllt, Nicht gab der Nahrung Trieb dich mir zu eigen, Und mit der Sklavenpeitsche kann mein Bild Noch minder dir im dumpfen Hirne steigen.
Wer kann mir sagen, ob des Hundes Seele Hinaufwärts, oder ob nach unten steige? Und müde, müde drück' ich in die Schmele Mein Haupt, wo siedend der Gedanke steige. Was ist es, das ein hungermattes Tier, Mit dem gestohlnen Brode für das bleiche Blutrünst'ge Antlitz, in das Waldrevier Läßt flüchten und verschmachten bei der Leiche?
Das sind Gedanken, die uns könnten töten, Den Geist betäuben, rauben jedes Glück, Mit tausendfachem Mord die Hände röten, Und leise schaudernd wend' ich meinen Blick. O schlimme Zeit, die solche Gäste rief In meines Sinnens harmlos lichte Bläue! O schlechte Welt, die mich so lang und tief Ließ grübeln über eines Pudels Treue!
Die rechte Stunde
Im heitren Saal beim Kerzenlicht, Wenn alle Lippen sprühen Funken, Und gar vom Sonnenscheine trunken, Wenn jeder Finger Blumen bricht, Und vollends an geliebtem Munde, Wenn die Natur in Flammen schwimmt, - Das ist sie nicht die rechte Stunde, Die dir der Genius bestimmt.
Doch wenn so Tag als Lust versank, Dann wirst du schon ein Plätzchen wissen, Vielleicht in deines Sofas Kissen, Vielleicht auf einer Gartenbank: Dann klingt's wie halb verstandne Weise, Wie halb verwischter Farben Guß Verrinnt's um dich, und leise, leise Berührt dich dann dein Genius.
Der zu früh geborene Dichter
Acht Tage zählt' er schon, eh ihn Die Amme konnte stillen, Ein Würmchen, saugend kümmerlich An Zucker und Kamillen. Statt Nägel nur ein Häutchen lind, Däumlein wie Vogelsporen, Und jeder sagte: »Armes Kind! Es ist zu früh geboren!«
Doch wuchs er auf, und mit der Zeit Hat Leben sich entwickelt, Mehr als der Doktor prophezeit, Und hätt' er ihn zerstückelt; Im zähen Körper zeigte sich Zäh wilder Seele Streben; Einmal erfaßt - dann sicherlich Hielt er, auf Tod und Leben.
In Büchern hat er sich studiert Hohläugig und zuschanden, Und durch sein glühes Hirn geführt Zahllose Liederbanden. Ein steter Drang - hinauf! hinauf! Und ringsum keine Palme; So klomm er an der Weide auf Und jauchzte in die Alme.
Zwar dünkt ihn oft, bei trübem Mut, Sein Baldachin von Laube So köstlich wie ein alter Hut, Wie 'ne zerrissne Haube; Allein dies schalt man »eitlen Drang, Mit Würde abzutrumpfen!« Und alles was er sah, das sang Herab vom Weidenstumpfen.
So ward denn eine werte Zeit Vertrödelt und verstammelt, Lichtblonde Liederlein juchheit, Und Weidenduft gesammelt; Wohl fielen Tränen in den Flaum Und schimmerten am Raine, erfaßte ihn der glühe Traum Von einem Palmenhaine.
Und als das Leben ausgebrannt Und fühlte sich vergehen, Da sollt' wie Moses er das Land Der Gottverheißung sehen; Er sah, er sah sie Schaft an Schaft Die heil'gen Kronen tragen, Und drunter all die frische Kraft Der edlen Sprossen ragen.
Und Lieder hört' er, Melodien, Wie ihm im Traum geklungen, Wenn ein Kristall der Gletscher schien, Und Adler sich geschwungen; Durch das smaragdne Riesenlaub Sah er die Lyra blinken, Und über sie gleich goldnem Staub Levantes Äther sinken.
O, wie zusammen da im Fall Die alten Töne schwirrten, Im Busen die Gefangnen all Mit ihren Ketten klirrten! »Ha, Leben, Jahre! und mein Sitz Ist in den Säulenwänden, Auch meine Lyra soll den Blitz Durch die Smaragden senden!«
Ach, arme Frist, an solchem Schaft Mit mattem Fuß zu klimmen, Die Sehne seiner Jugendkraft, Vermag er sie zu stimmen? Und bald erseufzt er: »Hin ist hin! Vertrödelt ist verloren! Die Scholle winkt, weh mir, ich bin Zu früh, zu früh geboren!«
Not
Was redet ihr so viel von Angst und Not, In eurem tadellosen Treiben? Ihr frommen Leute, schlagt die Sorge tot, Sie will ja doch nicht bei euch bleiben!
Doch wo die Not, um die das Mitleid weint, Nur wie der Tropfen an des Trinkers Hand, Indes die dunkle Flut, die keiner meint, Verborgen steht bis an der Seele Rand -
Ihr frommen Leute wollt die Sorge kennen, Und habt doch nie die Schuld gesehn! Doch sie, sie dürfen schon das Leben nennen Und seine grauenvollen Höhn;
Hinauf schallt's wie Gesang und Loben, Und um die Blumen spielt der Strahl, Die Menschen wohnen still im Tal, Die dunklen Geier horsten droben.
Die Bank
Im Parke weiß ich eine Bank, Die schattenreichste nicht von allen, Nur Erlen lassen, dünn und schlank, Darüber karge Streifen wallen; Da sitz' ich manchen Sommertag Und laß mich rösten von der Sonnen, Rings keiner Quelle Plätschern wach, Doch mir im Herzen springt der Bronnen.
Dies ist der Fleck, wo man den Weg Nach allen Seiten kann bestreichen, Das staub'ge Gleis, den grünen Steg, Und dort die Lichtung in den Eichen: Ach manche, manche liebe Spur Ist unterm Rade aufgeflogen! Was mich erfreut, bekümmert, nur Von drüben kam es hergezogen.
Du frommer Greis im schlichten Kleid, Getreuer Freund seit zwanzig Jahren, Dem keine Wege schlimm und weit, Galt es den heil'gen Dienst zu wahren, Wie oft sah ich den schweren Schlag Dich drehn mit ungeschickten Händen, Und langsam steigend nach und nach Dein Käppchen an des Dammes Wänden.
Und du in meines Herzens Grund, Mein lieber schlanker blonder Junge, Mit deiner Büchs' und braunem Hund, Du klares Aug' und muntre Zunge, Wie oft hört' ich dein Pfeifen nah, Wenn zu der Dogge du gesprochen; Mein lieber Bruder warst du ja, Wie sollte mir das Herz nicht pochen?
Und manches was die Zeit verweht, Und manches was sie ließ erkalten, Wie Banquos Königsreihe geht Und trabt es aus des Waldes Spalten. Auch was mir noch geblieben und Was neu erblüht im Lebensgarten, Der werten Freunde heitrer Bund, Von drüben muß ich ihn erwarten.
So sitz' ich Stunden wie gebannt, Im Gestern halb und halb im Heute, Mein gutes Fernrohr in der Hand Und laß es streifen durch die Weite. Am Damme steht ein wilder Strauch. O, schmählich hat mich der betrogen! Rührt ihn der Wind, so mein' ich auch Was Liebes komme hergezogen!
Mit jedem Schritt weiß er zu gehn, Sich anzuformen alle Züge; So mag er denn am Hange stehn, Ein wert Phantom, geliebte Lüge; Ich aber hoffe für und für, Sofern ich mich des Lebens freue, Zu rösten an der Sonne hier, Geduld'ger Märtyrer der Treue.
Clemens von Droste
An seinem Denkmal saß ich, das Getreibe Des Lebens schwoll und wogt' in den Alleen, Ich aber mochte nur zum Himmel sehn, Von dem ihr Silber goß die Mondenscheibe. Und alle Schmerzenskeime fühlt' ich sprießen, Im Herzen sich entfalten, Blatt um Blatt, Und allen Segen fühlt' ich niederfließen Um eines Christen heil'ge Schlummerstatt.
Da nahte durch die Gräser sich ein Rauschen, Geflüster hallte an der Marmorwand, Der mir so teure Name ward genannt, Und leise Wechselrede hört' ich tauschen. Es waren tiefe achtungsvolle Worte, Und dennoch war es mir, als dürfe hier Kein anderer an dem geweihten Orte, Kein Wesen ihn betrauern neben mir
Wer könnte unter diesen Gräbern wandeln, Der ihn gekannt wie ich, so manches Jahr, Der seine Kindheit sah, so frisch und klar, Des Jünglings Glut, des Mannes kräftig Handeln? Welch fremdes Aug' hat in den ernsten Lettern, Dem strengen Wort des Herzens Schlag erkannt? Die Blitze saht ihr, aber aus den Wettern Saht ihr auch segnen eines Engels Hand?
Sie standen da wie vor Pantheons Hallen, Wie unter Bannern, unter Lorbeerlaub; Ich saß an einem Hügel, wo zu Staub Der Menschenherzen freundlichstes zerfallen. Sie redeten von den zersprengten Kreisen, Die all er wie ein mächt'ger Reif geeint; Ich dachte an die Witwen und die Waisen, Die seinem dunklen Sarge nachgeweint.
Sie redeten von seines Geistes Walten, Von seinem starken ungebeugten Sinn, Und wie er nun der Wissenschaft dahin, Der Mann an dem sich mancher Arm gehalten; Ich hörte ihres Lobes Wogen schießen, Es waren Worte wohlgemeint und wahr, Doch meine Tränen fühlt' ich heißer fließen, Als ob man ihn verkenne ganz und gar.
Und endlich hört Ich Ihre Stimmen schwinden, Ihr letztes Wort war eine Klage noch: Daß nicht so leicht ein gleiches Wissen doch, Daß selten nur ein gleicher Geist zu finden. Ich aber, beugend in des Denkmals Schatten, Hab' seines Grabes feuchten Halm geküßt: »Wo gibt es einen Vater, einen Gatten, Und einen Freund wie du gewesen bist!«
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